»Mit hundert Seiten
gegen eine Naziseite«
Zum Jahreswechsel warnte der Vorsitzende des Zentralrats der
Juden in Deutschland, Paul Spiegel, vor
einem stärker werdenden Antisemitismus in Deutschland. Es gebe keinen
Grund zur Zufriedenheit, auch unter den gesellschaftlichen Eliten greife
der Antisemitismus um sich.
Ein wichtiges Medium zur Verbreitung judenfeindlicher Propaganda ist
das Internet. Die Betreiber der jüdischen Online-Seite
Hagalil.com
versuchen, dem entgegenzutreten. Seit 1995 im Netz, bietet Hagalil
umfassende Informationen über das jüdische Leben in Deutschland, Europa
und Israel. Die Seite ist eine der erfolgreichsten Initiativen gegen
rechtsextremistische Propaganda im Internet.
David Gall ist Mitherausgeber von Hagalil. Mit ihm sprach Stefan
Wirner.
Welche Idee führte zur Gründung von Hagalil?
Wir wollten zunächst das Judentum und seine Werte vermitteln, unser
Ansatz war also ein positiver. Es sollte eine Kommunikationsplattform
für Juden sein. Heute ist haGalil aber auch ein enormer Informationspool
zum Thema Rechtsextremismus. Es gab vor einem Jahr eine parlamentarische
Anfrage im Bundestag, bei der herauskam, dass etwa 50 Prozent aller
Sanktionen wegen rechtsextremer Propagandadelikte durch die Meldungen im
Formular von haGalil zustande kamen. Das bedeutet, dass alle anderen
Aktionen in dieser Richtung, mitsamt denen der Bundesregierung, sich die
andere Hälfte teilen.
Wie verbreitet ist Antisemitismus im Internet?
Es ist wichtig zu verstehen, dass antisemitische Propaganda im Internet
viel gefährlicher als irgendwelche Publikationen oder Veranstaltungen
sind, weil sie völlig unbedarfte Leute erreicht, Leute, die nicht ins
Internet gegangen sind, um sich mal die Nazistandpunkte anzuhören,
sondern Nutzer, die aus irgendwelchen Gründen, vielleicht weil sie ein
Referat für die Schule schreiben müssen, Informationen suchen, etwa zum
Talmud. Das Thema Talmud aber wird von den Nazis sehr stark besetzt. Vor
fünf Jahren ist man, wenn man die Wörter »Talmud« oder auch »Judentum«
in die Suchmaschine eingegeben hat, auf Naziseiten gelandet.
Wie kann man das verhindern?
Das geht erstaunlich einfach. Sagen wir mal, Horst Mahler
veröffentlicht einen Artikel zu einem jüdischen Thema im Internet, und
es gibt 100 Artikel von uns zum selben Thema, dann sind die Chancen,
dass dieser Schüler auf der Suche nach Informationen für sein Referat
bei uns landet, 100 Mal größer, als dass er bei Mahler landet. Wir
veröffentlichen nicht alles unter hagalil.com, sondern auch unter
Klick-nach-rechts.de,
Nahost-politik.de oder
Judentum.net.
Und wenn ein Schüler unsere Seiten liest, dann klickt er weiter, denn
er hat viele Fragen, und er findet plötzlich eine Fülle von
Informationen zu einem Thema, das ihn im Grunde interessiert. Wir
erreichen 140.000 Leser im Monat, die 1,8 Millionen Seiten aufrufen.
Daher wissen wir, dass jeder Leser bei uns im Schnitt über zehn Seiten
liest.
Plädieren Sie für eine Zensur des Internet?
Wir glauben, dass Zensur nichts nützt. Dort, wo etwa Filter eingesetzt
werden, zum Beispiel in der Staatskanzlei in Bayern, ist es so, dass
haGalil oder Klick-nach-rechts nicht mehr aufgerufen werden können, weil
bei uns natürlich dieselben Stichworte auftauchen.
Außerdem gibt es ja bereits Programme, die gesperrte Seiten wieder
zugänglich machen. Wir versuchen lieber, diese rechtsextremen Seiten
ganz wegzubringen, in dem Bereich sind wir eine der erfolgreichsten
Initiativen. Denn wir fahren auf drei Schienen.
Zum einen den bereits beschriebenen Weg, einer Naziseite 100 Seiten von
uns entgegenzustellen.
Zum zweiten bieten wir Kommunikationsmöglichkeiten an, Leute können uns
E-Mails schreiben oder in den Foren und Chats diskutieren und kommen
dadurch mit Juden in Kontakt, eventuell auch persönlich. Wir gehen auch
in die Schulen oder machen Veranstaltungen.
Die dritte Schiene zielt auf die strafrechtliche Verfolgung. Es gibt in
Deutschland Gesetze, die die Leugnung des Holocaust, die Verwendung
rechtsextremistischer Symbole und Ähnliches verbieten. Wir
veröffentlichen schon seit 1997 ein Formular im Internet, mit dem Leser
direkt rechtsextreme Seiten melden können. Diese werden dann von
Rechtsanwälten geprüft, und wenn sie tatsächlich strafrechtlich relevant
sind, wird ermittelt, wer der Herausgeber dieser Seite ist und wo er
wohnt. Oft wird gesagt, gegen amerikanische Online-Seiten könne man
nichts machen, aber wenn der Herausgeber in Stralsund sitzt, kann man
sehr wohl was tun.
Und wie sind ihre Erfahrungen mit der Justiz? Man hört ja nicht
selten von Urteilen wie jüngst in Kempten, wo es einem Mitglied der
Republikaner erlaubt wurde, Michel Friedman als »Zigeunerjuden« zu
bezeichnen.
Das ist eindeutig ein Problem. Wobei es regionale Unterschiede gibt. Es
gibt Staatsanwaltschaften, mit denen wir sehr erfreuliche Erfahrungen
gemacht haben. Die auch von sich aus anfangen nachzudenken und
Motivation erkennen lassen und immer wieder bei uns anfragen und
Informationen abrufen.
Andererseits finde ich etwa die bayerische Justiz nicht übermäßig
aktiv. Auch in Mecklenburg-Vorpommern gibt es Probleme. Das hat
natürlich auch mit den Personen zu tun. In Baden gibt es sehr aktive
Leute, während man denen in Regensburg erst einmal das ABC erklären
muss. Zum Beispiel was die Leugnung des Holocaust bedeutet. Wenn man
Morddrohungen erhält und persönlich bedroht wird, kann man von dieser
Seite schon mal hören: »Ja, Sie haben ja einen Judenstern auf der
Homepage, da brauchen Sie sich nicht zu wundern.«
Es gab Berichte, dass nach dem Beginn der so genannten
Al-Aqsa-Intifada in den palästinensischen Gebieten verstärkt israelische
bzw. jüdische Websites gehackt wurden. Können Sie das bestätigen?
Bei uns gab es außer einiger Massenmailings kaum Störungen. Die
Angriffe kamen allesamt, so weit wir das beurteilen konnten, nicht von
arabischer Seite, sondern von Nazis. Und recht viele waren aus
Österreich. Allerdings zeigt sich in diesen Mails eine Solidarisierung
nationaler und muslemischer Fundamentalisten.
War haGalil darüberhinaus schon einmal Angriffen ausgesetzt?
Ja. Die Rechten sehen, dass ihnen haGalil in Bezug auf ihre Propaganda
im Internet mehr an die Karre fährt als irgendwer sonst. Insofern sind
wir ihr Hassobjekt Nummer eins. Es wird auf allen möglichen Seiten
rumgehetzt. Wir hatten früher offene Foren, in denen im Prinzip jeder
schreiben konnte. Nach dem ersten großen Forenangriff mussten wir sie
schließen. Damals gab es wirklich pro Stunde 100 Einträge einschlägiger
Natur, wir kamen mit dem Löschen gar nicht mehr hinterher, geschweige
denn, irgendwas zu erwidern.
Aber durch die Schließung unserer Foren war das Problem nicht gelöst.
Die Rechten sind ganz einfach weitergewandert, etwa zum Forum der
Tageszeitung Die Welt. Da findet sich sporadisch immer wieder Hetze
gegen uns, manchmal geht das tagelang so. Was die Redaktion der Welt
nicht übermäßig kümmert.
Haben Sie deswegen Kontakt mit der Welt aufgenommen?
Ja, sicher. Die reagieren aber entweder überhaupt nicht oder sagen
schließlich, als Reaktion auf ein anwaltliches Schreiben, es handle sich
um eine Meinungsäußerung, und das Stichwort »Neutralität« fällt. Aber
wie kann man eine neutrale Position einnehmen, wenn jemand sagt: »Ja, in
Auschwitz sind schon ein paar Leute an Typhus gestorben.«
Wie beurteilen Sie nach über einem Jahr den so genannten Aufstand
der Anständigen?
Es wäre besser gewesen, man hätte es bleiben lassen. Nicht nur, dass es
nichts genützt hat, es hat sogar geschadet.
Inwiefern?
Weil der Eindruck erweckt wurde, als würde etwas getan. Wenn man aber
gar nicht weiß, was man tut oder tun soll, auch im Bereich des Internet,
dann tut man eigentlich etwas Schlechtes, denn man verzögert nur die
Lösung und lenkt ab von wirklich effektiven Aktionen.
Natürlich sind wir auch enttäuscht, dass wir bis zum heutigen Tag
keinen Pfennig an Unterstützung bekommen haben. Den Aufstand der
Anständigen den Bürgern zu überlassen, ist vielleicht ganz okay. Nur
sollte man diese Bürger dann nicht derartig im Regen oder gar vor dem
Wasserwerfer stehen lassen.
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