Nationale
Streitkräfte
Wegen interner Auseinandersetzungen fällt es den Neonazis schwer, zu
Demonstrationen und Kundgebungen am 1. Mai zu mobilisieren.
Von Mariella Schwertmüller
Zwei Wochen vor ihrem nationalen Kampftag sind die Vorbereitungen der extremen
Rechten auf den 1. Mai immer noch nicht so richtig in Schwung gekommen. Das
liegt nicht nur am schon länger währenden Streit zwischen der Neonazipartei NPD
und den so genannten Freien Kameradschaften, sondern auch an den sich häufenden
Auseinandersetzungen in den Kameradschaften selbst.
Denn seit dem Debakel in Leipzig am vorletzten Wochenende, als ein geplanter
Aufmarsch nach sieben Stunden Rumstehen unter Polizeibewachung vom Anmelder
Christian Worch schließlich abgesagt werden musste, ist sein Ruf als »Macher« in
der Szene erst einmal ruiniert. In den einschlägigen Diskussionsforen im
Internet werfen sich die Neonazis nun gegenseitig mangelnden Widerstand und
fehlende Aktionsfreude angesichts der Hinhaltetaktik der Leipziger Polizei vor;
gleichzeitig nimmt die Kritik an Worchs selbstherrlichem Verhandlungs- und
Entscheidungsstil zu.
Lediglich diejenigen Neonazis, die bei der Abreise im Regionalzug nach Wolfen
eine Gruppe linker Teenager und unbeteiligte Reisende terrorisierten, und einige
hundert andere, die in Halle eine Ersatzdemonstration durchführten, äußern sich
derzeit zufrieden über den »Abenteuerfaktor« des Leipziger Aufmarschs.
Nun soll in Frankfurt/Main am 1. Mai gerettet werden, was noch zu retten ist.
Zusammen mit Thomas Wulff und Steffen Hupka versucht Worch die Freien
Kameradschaften ausgerechnet dort zu sammeln, wo sie bereits im vergangenen Jahr
nicht gerade erfolgreich waren, als 800 Neonazis verängstigt in Straßenbahnen
und Bussen im Steinhagel standen. Auch das Rahmenprogramm dürfte mit Andre
Lüders, dem thüringischen Imitator Frank Rennickes, für viele Neonazis nicht
besonders interessant sein.
Wenig zugkräftig ist derzeit auch der Name Steffen Hupka, dessen »Szeneruf« nach
seinem Rauswurf aus der NPD Sachsen-Anhalts, dem vergeblichen Putschversuch
gegen Udo Voigt und den Rest der Parteiführung beim letzten NPD-Bundesparteitag
im März und den ständigen Jammermails seiner Revolutionären Plattform doch recht
arg lädiert ist.
Als Redner der Rechtsextremisten ist in Frankfurt neben den für ihre
Langatmigkeit berüchtigten Organisatoren noch der schleswig-holsteinische
NPD-Vorsitzende Peter Borchert angekündigt, der mit seiner Teilnahme in
Frankfurt den offenen Konflikt mit der Bundesspitze der Partei sucht.
Auch die NPD-Führung schürt ihrerseits den Streit mit den Kameradschaften immer
wieder neu an. So zitierte jüngst die NPD-Propagandapostille Deutsche Stimme
einen Angriff des Parteivorsitzenden Voigt auf Worch und Hupka mit den Sätzen:
»Es war für mich (...) nicht mehr akzeptabel, daß sich an der NPD vorbei
tausende junger Menschen in immer mehr Grüppchen organisierten, die sich zwar
national nannten, aber vornehmlich Eigeninteressen förderten oder Spielwiesen
selbst ernannter Führer waren. Hier mussten wir den Versuch unternehmen, eine
Bündelung der Kräfte zu erreichen, um junge Menschen vor möglichem 'Verheizen'
zu bewahren und in einer Organisation wie der NPD zu integrieren.«
Die Partei plant, wie schon im vergangenen Jahr, regionale Aufmärsche in
mehreren Städten. Unter dem schlichten Motto »Arbeit statt Globalisierung« hat
sie sich in Berlin, Dresden, Göttingen, Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg und
Nürnberg/Fürth angekündigt.
So unterschiedlich wie die Mobilisierungsversuche der Neonazis in den einzelnen
Regionen sind derzeit auch die Planungen für Gegenaktivitäten von
AntifaschistInnen und diversen Bündnissen gegen Rechts. Der deutlichste
Widerstand gegen die Präsenz von Neonazis am 1. Mai regt sich derzeit in
Göttingen und Ludwigshafen, wo sich auch der DGB an den Gegenaktivitäten
beteiligen will.
In Dresden hingegen, wo sich schon am 1. Mai des vergangenen Jahres rund 1000
Neonazis weitgehend ungestört bewegen konnten, rechnet kaum jemand mit größeren
Gegendemonstrationen. Es scheint, dass sich die sächsische Neonaziszene trotz
aller Spitzelaffären und sonstigen Krisen der NPD in einer ähnlichen
Größenordnung einfinden wird wie im Vorjahr.
Schwieriger hingegen ist es, die Situation in Berlin einzuschätzen. Erstmals
seit einigen Jahren soll der NPD-Aufmarsch nicht im Ostberliner Stadtteil
Marzahn beginnen, der beispielsweise im vergangenen Jahr und auch im Jahr 2000
von der Polizei hermetisch vor größeren Gruppen von AntifaschistInnen
abgeriegelt wurde. Die Auftaktkundgebung der Neonazis soll in diesem Jahr am
Ostbahnhof, an der Grenze zwischen Kreuzberg und Friedrichshain, stattfinden.
Bei allem Streit zwischen den Freien Kameradschaften und der NPD gibt es aber
noch gemeinsame Ziele. Eines davon ist Leipzig. Denn Christian Worch möchte in
der Stadt auf jeden Fall einen Marsch zum Völkerschlachtdenkmal durchführen. Die
nächste von insgesamt fünf für dieses Jahr angekündigten rechten Demos ist für
den 8. Juni geplant. Dann wollen die NPD und die Kameradschaften gleichzeitig
durch Leipzig marschieren; die NPD will vom Völkerschlachtdenkmal aus gegen die
Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung vorgehen, und
die Freien Kameradschaften wollen es vom Hauptbahnhof ausprobieren.
hagalil.com
18-03-02
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