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"Das Netz nutzen"
von: Gudrun Giese

Interview mit David Gall,
dem Gründer von haGalil-online.

BnR: haGalil-online gehört zu den weltweit größten Online-Diensten, die Informationen zum Thema Judentum anbieten. Wie entstand die Idee, ein solches Internet-Angebot zu etablieren?

David Gall: Als ich mich 1994/95 beruflich erstmals intensiver mit dem World Wide Web beschäftigte, wollte ich auch wissen, was sich zum Thema Judentum im Internet finden ließ. Ich habe Begriffe wie Talmud, Schabath, koscher und anderes mehr eingegeben – und bin fast ausschließlich auf Nazi-Websites gelandet. Genauso sah das übrigens bei Suchbegriffen wie "Auschwitz" oder "Hitler" aus. Das war der Anfang von haGalil-online. Die allerersten Seiten, die wir ins Netz eingestellt haben, entstanden dann aber unter dem Schock der Ermordung des Ministerpräsidenten Jizhak Rabin im November 1995.

BnR: Welche Reaktionen haben Sie erlebt?

Gall: Die Resonanz schon auf diese ersten Seiten war enorm. Damals kamen die meisten Reaktionen aus den USA, weil dort das Internet schon verbreitet war, während es in der Bundesrepublik nur wenige nutzten. haGalil ist dann allmählich gewachsen, und die Resonanz in Deutschland nahm mit der Verbreitung des Internets immer weiter zu. Schließlich haben wir uns entschlossen, den Dienst professionell zu betreiben. Damit reagierten wir auch auf die weitere Zunahme von Nazi-Seiten im Netz und die Tatsache, dass Antisemitismus das zentrale Merkmal nazistischer Propaganda ist. Wir nahmen uns vor, dass wir jeder dieser Hetz- und Propagandaseiten hundert unserer Seiten mit echten Informationen entgegensetzen würden.

BnR: Ein professioneller Online-Dienst mit hohem inhaltlichen Anspruch erfordert doch erhebliche personelle und finanzielle Mittel. Wie viele Mitarbeiter haben Sie, und wie finanziert sich haGalil-online?

Gall: Regelmäßig arbeiten zehn bis zwölf Menschen ehrenamtlich für haGalil-online. Darüber hinaus gibt es einen Kreis an sporadisch mitarbeitenden Menschen, die beispielsweise Chatrooms im Internet betreuen. Obwohl wir mit unseren Angeboten, die zu einem großen Teil von Jugendlichen wahrgenommen werden, eine wirklich öffentliche Aufgabe erfüllen, erhalten wir keinerlei öffentliche Förderung. Das heißt, haGalil-online wird hauptsächlich von uns selbst finanziert, aus unserer Arbeit als Webdesigner. Es gibt auch die Möglichkeit, uns durch Spenden zu unterstützen. Natürlich kann bei uns Werbung geschaltet werden; mit 1,8 Millionen Seitenaufrufen durch rund 140 000 Leser monatlich gehören wir zu den großen Online-Diensten Deutschlands und sind so auch für die Werbewirtschaft interessant.

BnR: Was bewirkt Ihr Informationsangebot?

Gall: Zunächst einmal haben beispielsweise Schüler, die Informationen über Judentum suchen, durch uns die Chance, etwas anderes zu finden als antisemitische Hetze. Für Jugendliche, die keinerlei Vorwissen haben, sind Nazi-Seiten mit Aussagen etwa über das Schächten oder über jüdische Feiertage nicht unbedingt als Hetzseiten erkennbar. Nicht auf jeder Nazi-Seite prangen Hakenkreuze. Beiträge unter der Überschrift "Das Judentum besser verstehen lernen" wirken so erstmal ganz seriös. Die Hetze und Desinformation ist subtil in den Beiträgen versteckt, wenn zum Beispiel Purim als "Siegesorgie der Juden über die Nichtjuden" dargestellt wird, während an diesem Feiertag tatsächlich der Rettung der persischen Juden vor der Verfolgung vor zirka 2400 Jahren gedacht wird. Die meisten Menschen hier zu Lande wissen so wenig über Judentum, dass sie gar nicht zwischen Lüge und Wahrheit unterscheiden können. Und so werden oft antisemitische Klischees weitergegeben, ohne dass die Beteiligten wissen, welchem Hintergrund entsprechende Aussagen entstammen.

BnR: Nun wissen die meisten Menschen heute auch nur wenig über die anderen Weltreligionen, machen deshalb aber keine Christenwitze. Dagegen hält sich Antisemitismus hartnäckig auch in säkularen Gesellschaften. Warum?

Gall: Antisemitismus hat eine lange Tradition, die ursprünglich aus der christlichen Lehre kommt, sich aber längst verselbständigt hat. In der heutigen Zeit wissen die meisten Menschen zwar wenig über christliche Werte, aber von "Judas dem Verräter", hat fast jeder schon einmal gehört. Außerdem darf man nicht übersehen, wie stark in diesem Land die Nazi-Propaganda gewirkt hat. Sicher haben sich viele Menschen nach 1945 vom Nazi-Regime und von der Vernichtung jüdischer Mitbürger distanziert, aber die Propaganda hat nachhaltig gewirkt und ist auch in die Erziehung der Nachgeborenen eingeflossen. Irgendetwas müsse doch mit den Juden nicht stimmen – das ist eines der beharrlichsten Klischees überhaupt. Gegen diese Art von Vorurteilen kann man am besten vorgehen, wenn man darstellt, was Judentum wirklich bedeutet.

BnR: Das Gros der von Nazis verbreiteten Internetangebote erfüllt Straftatbestände. Wie sollte man aus Ihrer Sicht dagegen vorgehen?

Gall: Fünfzig Prozent der sanktionierten Delikte wegen nazistischer und antisemitischer Propaganda im Internet werden über haGalil zur Anzeige und strafrechtlichen Verfolgung gebracht. Wir investieren viel Zeit und Energie in diese Arbeit und müssen interessanterweise oftmals die Staatsanwaltschaften darüber aufklären, wie weit die strafrechtlichen Möglichkeiten reichen. Oft heißt es ja, dass keine Strafverfolgung möglich sei, wenn Hetzseiten von ausländischen Servern "gehostet", also verwaltet würden. Doch wenn der Herausgeber solcher Naziseiten nachweislich in der Bundesrepublik Deutschland sitzt, kann die Staatsanwaltschaft tätig werden. Wir finden uns dann in der seltsamen Rolle, Staatsanwälten zu erklären, dass sie die Pflicht zur Strafverfolgung haben – nicht, weil wir das wollen, sondern weil es so in den deutschen Gesetzen steht.

BnR: Die Bundesregierung und die Bundesländer haben verschiedene Ansätze gestartet, gegen Nazi-Angebote im Internet vorzugehen; etwa Filtersoftware oder die Selbstverantwortung der Provider für die von ihnen eingestellten Angebote. Was halten Sie davon?

Gall: Diese Initiativen bewirken aus meiner Sicht nichts, im Gegenteil: Sie sind sogar kontraproduktiv. Filtersoftware kann sehr schnell umgangen werden; die identischen Angebote finden sich dann eben unter anderen Adressen, und gerade Jugendliche sind sehr findig, wenn es ums Internet geht. Eine Selbstverantwortung der Provider ist aus meiner Sicht ebenso ein falscher Weg. Man sollte es nicht Privatunternehmen überlassen zu kontrollieren, was ins Internet eingestellt wird und was nicht. Der Provider verdient auch, wenn Neonazis die Nazi-Seiten anklicken. Und diese Seiten sind ja tatsächlich gut besucht. Es gibt aber noch einen dritten Ansatz der Bundesregierung, der meines Erachtens bisher ebenfalls nichts Konkretes bewirkt hat: die Idee des so genannten Weltkonsens aus dem Haus von Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin. Hier wurde schon vor einiger Zeit in einer "Berliner Erklärung" proklamiert, einen Weltkonsens über Internet-Inhalte zu erzielen. In den USA, wo jeder sagen kann, was er will, ist diese Idee auf keine Resonanz gestoßen. Es ist aber auch nicht sehr wahrscheinlich, dass sich arabische Länder einem Weltkonsens anschließen, der ihnen vorschreibt, was sie beispielsweise über Israel und den Nahostkonflikt publizieren dürfen. Man wird nie einen Weltkonsens darüber zustandebringen, was über Juden gesagt werden darf und was nicht. Das World Wide Web ist nunmal so angelegt, dass von jedem Rechner, an jedem Ort der Welt praktisch jede Information ins Netz eingestellt werden kann.

BnR: Bleibt am Ende allein ihr Angebot als wirksames Instrument gegen Nazi-Propaganda im Internet?

Gall: Unser Ansatz ist sicher der nachhaltig wirksamste, und bei ausreichender Unterstützung könnten wir noch sehr viel mehr erreichen. Ich denke, die zuständigen Stellen haben die Brisanz des Problems, auch in Bezug auf islamistische Hetze, nie begriffen, und dementsprechend gering ist dann auch die Bereitschaft, sich mit erfolgreichen Lösungsansätzen auseinander zu setzen. Manchmal habe ich gedacht, dass wir abschalten müssen, weil wir allein diese Aufgabe nicht leisten können. Doch dann weiß ich, dass tausende von Schülern, die unsere Seiten lesen, die uns E-Mails schicken, an Internet-Foren teilnehmen oder auch anrufen, wieder auf Nazi-Seiten landen. Insofern wäre es verantwortungslos, haGalil aufzugeben.

Interview: Gudrun Giese
bnr 2002-01-11

Veranstaltungshinweis am 02.Juli 2002, 19:00h:
"Man wird ja wohl noch..."
Einladung zur Podiumsdiskussion "Aktueller Antisemitismus in Deutschland". Veranstaltung von Tacheles Reden! e.V...

hagalil.com 27-06-02


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