Ein grosser Wurf:
Der weltweite Wertekatalog
Es wird viel über den
"Rechtsextremismus im Internet" geredet, scheinbar wissen aber die
allerwenigsten wovon sie reden, noch warum sie überhaupt darüber reden.
Speziell in Deutschland scheint man vor
allem um den guten Ruf des Landes besorgt zu sein. Kaum einer, dem die
NS-Propaganda wie ein kosmetisches Problem erscheint, wird auf einfache
Fragen wie "Was ist das besondere an der Propaganda im Internet? Weshalb
ist sie gefährlicher als die Propaganda in den Hinterzimmern, an
NPD-Infoständen oder in gedruckter Form?" eine Antwort geben können.
So bleibt denn auch die Berichterstattung
in aller Regel bei Gesten der Betroffenheit, oberflächlicher
Distanzierung oder einfacher Bestandaufnahme stehen. Der
Verfassungsschutz meldet jedes Jahr neue Rekordzahlen deutscher
Naziseiten, die Fernsehanstalten zeigen in ihren Dokumentationen lieber
"Hatepages", am liebsten in english und from USA. Auf höchster Ebene
wird getagt und debattiert, hochkarätige Experten werden eingeflogen und
Empfänge zelebrieren die Hilflosigkeit.
Das Ergebnis der bisher größten
Konferenz zum Thema war
immerhin eine Forderung. Die Justizministerin Däubler-Gmelin und das
amerikanische Simon Wiesenthal Center wünschen sich "eine effektive
Abwehr gegen Neonazis im Netz".
Am Ende der Expertentagung fasste die taz
deren Ergebnis folgendermaßen zusammen: "Wie es konkret gelingen
soll, die Rechten aus dem weit verzweigten internationalen Netz zu
vertreiben, wusste auf der Tagung niemand zu sagen".
Vorschläge gab es, aber keiner ist soviel
wert wie die bei der Konferenz verspeisten Häppchen. Wer sich auch nur
oberflächlich mit dem Thema Internet auseinandergesetzt hat, kann ihr
Scheitern von vorneherein absehen.
Groß gefeiert und bejubelt wurde die Idee
vom "weltweiten Wertekatalog". Zwar müsste jeder, der die
unterschiedlichen Konzepte der Rechtssprechung bzw. der traditionellen
Handhabung von Redefreiheit kennt, wissen, dass es einen solchen
Weltkatalog in absehbarer Zeit gar nicht geben kann, lässt man aber
grundlegende Eigenheiten des Objekts einfach außer Acht, kann man mit
dieser Augenwischerei schon recht weit kommen. In Berlin kann man
nämlich problemlos vom Internet reden und dessen Internationalität
einfach ignorieren. Keiner wird's bemerken, denn sonst müsste man sich
ja den Kopf zerbrechen, wie man denn Länder wie Libyen oder Iran (um nur
mal zwei zu nennen) einbeziehen will, in den Konsens. Das "weltweite
Internet" ist zwar kein "Verbund Berliner Netzwerke", den man mit ein
paar preußischen Staatserlassen zurecht stutzen könnte, aber wenn wir
einfach nur so tun als ob, dann brauchen wir nicht viel denken, und auch
nicht viel tun. Und solange man unter sich bleibt, passt doch alles
wunderbar. Man bejubelt sich gegenseitig und alle sind zufrieden. Am
Berliner Wesen soll die Welt genesen, was geht uns die Welt an, hinter
dem märkischen Sand?
Die Vergeblichkeit solcher Mühe
erkennend, winkte die US-amerikanische Justizministerin, obgleich
eingeladen, dankbar ab. In ihrem Artikel
Der pure Hass - Rechtsextremismus im Internet, schreibt
Margret Chatwin: "Die Maßnahmen auf europäischer Seite zur Eindämmung
rassistischer und antisemitischer Literatur durch spezifische
Gesetzgebung stößt bei den meisten Amerikanern auf völliges
Unverständnis. So führten etwa die Versuche der Telekom, den Zugang zu
den Webseiten des Deutsch-Kanadiers Ernst Zündel für deutsche
Internetnutzer im Jahre 1996 zu sperren, zur massenhaften Einrichtung so
genannter "Mirror-Sites". Das heißt, der komplette Dateninhalt des
Servers des Holocaust-Leugners wurde auf andere Rechner verlagert. Den
Auftakt zu diesen Aktionen gab damals der Internet-Spezialist Rich
Graves.
Obwohl Rich Graves, wie er sich öffentlich dazu äußerte, die
Auffassungen von Zündel nicht teile, wolle er sich so gegen die
Zensurmaßnahmen wenden. Dass er zu der Zeit eng mit dem Nizkor-Projekt
verbunden war, welches sich die Aufklärung über den Holocaust und über
Holocaust-Leugner zur Aufgabe gemacht hat, illustriert die meist recht
kompromisslose Haltung der Amerikaner zum Recht auf freie
Meinungsäußerung. Von daher dürfen die Europäer in ihren Bemühungen,
Hasspropaganda im Internet einzudämmen, auch kaum Unterstützung von den
Amerikanern erwarten"...
PS:
Durch die rasante
Vorwärtsentwicklung der neuen Medien gelangt rechtsradikale Propaganda
nicht mehr vornehmlich an jene, die sie speziell suchen und wünschen,
sondern, was viel gefährlicher ist, an jene, die sich mit Themen
auseinandersetzen, die in der NS-Propaganda irgendeine Rolle spielen.
Die NS-Propaganda im Internet ist damit sehr viel gefährlicher als
dieselben Texte auf Flugblättern, in Büchern und Zeitungen, welche sich
ein interessierter Leser erst einmal besorgen müsste.
Hilflosigkeit und Inkompetenz
demonstriert:
Kein Mausklick für
Rechte?
Justizministerin Däubler-Gmelin, das amerikanische Simon Wiesenthal
Center und andere Organisationen fordern eine effektive Abwehr gegen
Neonazis im Internet...
haGalil onLine 12-2000
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